Beitrag von Nicole Lehnert
Deutschland gilt als Land der Dichter und Denker. Auch als Land der Ideen wurde es dank einer Initiative der Bundesregierung schon bezeichnet. Mit einem Blick auf die Meilensteine der Industriegeschichte ist es zudem ein Land der Erfinder. Auto, Flugzeuge und Computer haben hier ihre Geburtsstunde. Es ist also seit jeher das Wissen in den Köpfen der Menschen, das die Wirtschaft vorangebracht hat. Bis heute. Doch angesichts des demografischen Wandels ist das implizite Kapital der hiesigen Unternehmen akut in Gefahr. Der Renteneintritt der geburtenstarken Babyboomer-Generation trifft auf ein Mindset, in dem insbesondere jüngere Beschäftigte zunehmend projektbasiert denken und arbeiten. Vor allem das wertvolle Erfahrungswissen droht damit abzuwandern: Die einen nehmen es mit in den Ruhestand, die anderen tragen es zum Wettbewerber. Hochrechnungen zufolge könnte das Know-how von zwei Dritteln der Belegschaft schon in Kürze abwandern; in manchen Branchen steht sogar ein noch höherer Prozentsatz zur Disposition. Angesichts dieser Entwicklungen bleiben viele Unternehmen und insbesondere die Personalabteilungen erstaunlich ruhig. Sie wissen zwar durchaus um die drohende Gefahr, doch fehlen ihnen die richtigen Mittel, um dem Wissensexodus zuverlässig vorzubeugen. Diese gilt es aber, nun schnellstmöglich zu etablieren. Anderenfalls wir Wissen – unfreiwillig – zum Wegwerfprodukt.
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Demografischer Wandel und hohe Wechselwilligkeit als Hauptursachen für Wissensverluste
Die Pensionierungswelle der in den 1950er und 1960er Jahren geborenen Babyboomer-Generation ist in vollem Gange. Bis zum Jahr 2040 verringert sich dadurch die Zahl der potenziell Erwerbstätigen allein hierzulande von derzeit zirka 52 Millionen auf nur noch 45 Millionen. Pro Jahr entspricht das einem Rückgang von durchschnittlich 350.000 Beschäftigten. Dabei ist in diesen Zahlen bereits berücksichtigt, dass natürlich Vertreter der Generationen Z (geboren zwischen 1995 und 2010) und Alpha (ab 2011 geboren) die Nachfolge der ausscheidenden Mitarbeiter antreten werden. Doch die entstehende Lücke lässt sich schon rein quantitativ nicht einmal annähernd füllen; selbst dann nicht, wenn man zusätzlich von einer starken Einwanderungsquote entsprechend qualifizierten Personals ausgeht.
Auf einzelne Branchen heruntergebrochen, bedeutet das beispielsweise,
- dass im öffentlichen Dienst innerhalb der nächsten Jahre jeder vierte Beschäftigte in den Ruhestand wechseln wird.
- In der Metall- und Elektroindustrie ist es jeder zwölfte Mitarbeiter. Was zunächst vergleichsweise wenig klingt, ist angesichts einer Gesamtbeschäftigungszahl von
mehr als vier Millionen Arbeitnehmern in dieser Branche aber keineswegs ein geringer Anteil. Im Gegenteil! Die künftigen Pensionäre belaufen sich in diesem wichtigen Wirtschaftszweig auf knapp eine halbe Million.
Solche Rechnungen ließen sich beliebig fortführen: Ob in der Energiewirtschaft, im Baugewerbe oder – das wohl bekannteste Beispiel – im Gesundheitswesen: Vom demografischen Wandel und der damit zusammenhängenden Pensionierungswelle sind ausnahmslos alle Unternehmen betroffen – unabhängig von Größe, Umsatz und Branche.
Doch auch diejenigen Mitarbeiter, die in absehbarer Zeit noch nicht in Rente gehen, – und deren wertvolle Wissensschätze – sind keineswegs sicher: Eine Studie des Arbeitsmarktspezialisten Robert Half ergab kürzlich, dass mehr als Dreiviertel der Beschäftigten derzeit offen für einen Arbeitgeberwechsel sind. 38 Prozent von ihnen befinden sich sogar bereits aktiv auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung.
Mitarbeiter weg, Wissen weg?
Im schlimmsten Fall kann es also passieren, dass die Pensionierung der Babyboomer und der Arbeitgeberwechsel von jüngeren Kollegen zusammentreffen. Das wäre ein Super-Gau! Wer macht dann die ganze Arbeit? Wer erfüllt Aufträge, hält Vereinbarungen ein und sorgt dafür, dass alle geschäftskritischen Prozesse zumindest am Leben erhalten werden? Doch die Frage nach (neuem) Personal ist nur auf den ersten Blick die derzeit wichtigste Aufgabe für Unternehmen. Schließlich ist es mit der nötigen Geduld, einem entsprechenden finanziellen Budget und attraktiven Arbeitgeberleistungen auch heute noch möglich, qualifizierte Fachkräfte für sich zu begeistern. Allerdings stellt sich die Frage: Wer zeigt den neuen Mitarbeitern, wie die Ablage funktioniert, worauf es bei der Wartung von Maschinen ankommt und wen sie bei Problemen in SAP auch einmal auf dem „kurzen Dienstweg“ um Hilfe bitten können? Wenn die „alten Hasen“ nicht mehr in der Organisation tätig sind, ist guter Rat nicht nur teuer, sondern oft schlichtweg nicht verfügbar.
Natürlich sollte die Human-Resources (HR)-Strategie darauf ausgerichtet sein, bestehendes Personal dauerhaft zu binden. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Schließlich fokussiert diese Aufgabe lediglich auf die Generationen X, Y und Z. Ganz anders verhält es sich bei den in Kürze ausscheidenden Babyboomer: Sie lassen sich nicht aufhalten! Bei ihnen muss das Hauptaugenmerk folglich darauf liegen, möglichst viel von ihrem (Erfahrungs-)Wissen im Unternehmen zu behalten. Das Stichwort lautet: Wissenssicherung!
Doch ohne Anleitung und ohne festen Rahmen gelingt es dem einzelnen Beschäftigten parallel zum Alltagsgeschäft kaum, Wissen konsequent zu dokumentieren. Zumal das wirklich wichtige Wissen implizit ist. Es geht also um Erfahrungen. Anders als explizites Faktenwissen lassen sich Erfahrungen nicht durch ein Seminar oder eine Schulung schnell und unkompliziert neu aufbauen oder extern einkaufen. Erfahrungen wachsen langsam. Nicht umsonst heißt es im Volksmund: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ Erfahrungen gründen sich auf jahre- oder jahrzehntelangen Praxiseinsatz. Sie entstehen durch „Trial & Error“, durch den Austausch mit Kollegen, durch das Arbeiten in verschiedenen Organisationen und Bereichen. Gehen Erfahrungen verloren – weil die Wissensträger das Unternehmen verlassen – sind sie nicht mehr zugreifbar. Nie mehr. Für keinen – weder für aktuelle noch künftige Mitarbeiter des Unternehmens.
Professionelle Wissenssicherung: In nur acht Stunden zum Ziel
Eine professionelle Wissenssicherung beugt dem Wissensverlust wirksam vor – und macht Erfahrungen zu nachhaltigen Insights. Mithilfe strukturierter Interviews gelingt es, innerhalb von nur acht Stunden bis zu 80 Prozent des impliziten Wissens eines Mitarbeiters zu sichern und gleichzeitig so aufzubereiten, dass es für künftige Beschäftigte auf einen Blick begreifbar und verständlich ist.
Erfahrungen sind personengebunden. Daher sind es auch Personen, die Wissen erfolgreich und nachhaltig sichern können. Keine Software schafft, was ein menschlicher Interviewer beispielsweise an Beziehungswissen in Erfahrung bringen kann. Denn Wissenstransfer fußt auf gegenseitigem Austausch. Geprägt von Verständnis für die Situation, die Rahmenbedingungen und die individuellen Herausforderungen des ausscheidenden Mitarbeiters gelingt auf diese Weise nicht nur die Sicherung von relevantem Wissen, sondern auch eine Einordnung in das große Ganze – den Organisationskontext.
Durch eine professionelle Anleitung können Mitarbeiter – beispielsweise aus der HR- oder WissensmanagementAbteilung – schon nach kürzester Zeit das Handwerkszeug erlernen, das sie für eine Wissenssicherung benötigen. So machen sie sich unabhängig von externen Dienstleistern und erwerben gleichzeitig eine Kernkompetenz, auf die ihr Unternehmen künftig mit Sicherheit nicht mehr verzichten möchte.
Quelle: https://www.wissensmanagement.net/themen/artikel/artikel/wissen_ist_kein_
wegwerfprodukt.html